600 Menschen suchen Wohnung. Aber: Böden binden Treibhausgase
Pfrondorf hat die Nase vorn: Das Neubaugebiet „Strütle/Weiher“ geht demnächst in den Planungswettbewerb. Am 11. Juli 2019 verhandelte der Planungsausschuss die Eckpunkte. Landwirt Ulrich Bechtle aus Waldhausen, der viele Flächen rund um Tübingen bewirtschaftet, kritisiert, dass in Pfrondorf bester Ackerboden zugebaut werde. Ob man den Bodenaushub nicht anderswo ausbringen könne statt ihn zu entsorgen? Auch Bioland-Bauer Peter Bosch von der Tübinger Liste meint: Mit Mutterboden muss sorgfältig umgegangen werden. In jedem Baugebiet soll es eine ausreichend große Fläche geben, auf der Oberboden und Humus* getrennt gelagert werden könnten, bis sie wieder eingebracht werden. In Pfrondorf liegt nur eine dünne Schicht Erde auf dem **Rhätsandstein. Baubürgermeister Cord Soehlke will diese Forderung in die Vorlage einarbeiten lassen.
Seit mehr als drei Jahren wird diskutiert, wie zwischen der Firma Brennenstuhl, der Linden- und der Weiherstraße in Pfrondorf ein Neubaugebiet entstehen soll: Wohnungen für bis zu 600 Personen, Gewerbefläche für die Brennenstuhl-Erweiterung und andere Betriebe und für Wohnen. Es ist mit 9,3 Hektar das größte der Neubaugebiete in den Teilorten.
Die Stadt hat sämtliche Grundstücke aufgekauft und verkauft sie nach Erschließung wieder an Interessenten, vorrangig aus Pfrondorf. Für die städtebauliche Gestaltung schreibt die Verwaltung 15 Architektur-Büros an, eine Jury entscheidet dann, welcher Entwurf realisiert werden soll.
Zunächst aber hat die Verwaltung die „städtebaulichen Eckpunkte“ zusammengestellt. Demnach sollen auf 5,2 Hektar Wohnungen geschaffen werden – in Form eines eigenständigen Gebiets, das aber keinen Fremdkörper in der Ortschaft darstellen soll. Es soll Wohnraum für unterschiedliche Einkommensschichten, Altersgruppen und Haushaltsgrößen geben. Auch einen Stadtteiltreff oder eine Bäckerei möchte die Verwaltung geplant wissen. Eine Kindertagesstätte ist ebenfalls gesetzt. Eine Zufahrt zur alten Stuttgarter Straße ist nicht geplant.
Die Freiflächen zwischen den Gebäuden werden von allen Bewohnergruppen genutzt. Ein Platz gibt dem kleinen Gebiet seine Mitte. Allerdings fehlt in der Ausschreibung noch ein Hinweis zum Thema Glasfaser-Verlegung, Aufladestationen für E-Fahrzeuge und Solar-Energie.
Das bestehende Seniorenheim mit 15 Plätzen stößt an Grenzen, nicht nur in der Kapazität, sondern auch finanziell. Eine solche Größe ist kaum wirtschaftlich zu betreiben.
Soehlke will ein Pflegeheim mit 30 Plätzen in den Wettbewerb schreiben. Es müsse aber auch überlegt werden, wie das bestehende Pflegeheim dann genutzt werden könne.
Die Linke plädiert einerseits für Sozialwohnungen, aber gegen Flächenversiegelung. Eine Zwickmühle, in der alle ökologisch Denkenden in Tübingen stecken. Dennoch stimmten nur Linke und Partei gegen den Vorschlag der Stadtverwaltung. Nun liegt der Ball im Feld des Gemeinderats.
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Hier der Antrag von Peter Bosch im Wortlaut:
Die Stadt Tübingen plant bei allen Neubaugebieten Flächen mit ein, bzw. stellt diese vom Beginn der Erschließungsmaßnahmen bis zum Abschluss der Bebauung für die getrennte Zwischenlagerung von humosem Oberboden und Bauaushub zur Verfügung.
Im Bauantrag ist anzugeben, welch Mengen an Oberboden und Bauaushub anfallen und auf dem Baugrundstück selbst gelagert werden können.Das Aushubmaterial ist möglichst ohne Vermischung, getrennt nach:
A-Horizont, humoser Oberboden bis ca. -30cm
B-Horizont, unterschiedlich mächtige Schicht von -30cm abwärts und
C-Horizont Ausgangsgestein zu lagern.
Den Baufirmen wird untersagt, fruchtbaren Oberboden auf eigene Rechnung und ohne Erlaubnis der Stadt abzufahren und zu veräußern.
Begründung:
Bei Baumaßnahmen wird oft fruchtbarer Oberboden mit steinigem Material vermischt oder abgefahren. Nach Abschluss der Bebauung steht dann oft zu wenig Material für Bepflanzung und die Anlage von Gärten und öffentlichem Grün zur Verfügung.
Speziell in Pfrondorf steht unter einer relativ dünnen Schicht mit fruchtbarem Lößboden unmittelbar steiniges Material an, sodass hier besonders sorgfältig gearbeitet werden muss.Peter Bosch, Tübingen 11. Juli 2019
siehe ANTRÄGE auf dieser Internetseite
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*Böden speichern CO2
Würden unsere Böden nur ein Prozent mehr Humus enthalten, dann lägen fast 100 Millionen Tonnen Kohlenstoff sicher im Boden und würden den CO2-Ausstoß der hiesigen Wirtschaft um nahezu ein Viertel reduzieren.Durch das Bearbeiten der Böden mit schwere Maschinen wird auf landwirtschaftlichen Anbauflächen immer mehr fruchtbarer Humus zerstört und dabei CO2 freigesetzt.Dass es auch anders geht, zeigen Bauern aus Österreich. Wenn der Landwirt intensiv Humusaufbau betreibt, kann er etwa 50 Tonnen CO2 pro Hektar pro Jahr binden.
Gerald Dunst ist Humusfachmann und organisiert in der Ökoregion Kaindorf in der österreichischen Steiermark ein Pilotprojekt. Es betreibt auf mittlerweile 800 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche Humusaufbau mithilfe von Kompost und Pflanzenkohle. Das kostet die Landwirte pro Hektar etwa 1500 Euro. Dafür gibt es in Kaindorf eine Gegenfinanzierung durch Unternehmen, die sich CO2 freistellen lassen wollen: „Wir garantieren den Bauern vertraglich, dass sie pro Tonne gebundenes CO2 30 Euro ausbezahlt bekommen. Wir bekommen dafür vom Landwirt ein sogenanntes CO2-Zertifikat, das wird von einem unabhängigen Labor geprüft.“
Albrecht Kieser
**Rhätsandstein wurde für mehr als 100 Jahre seit 1888 im Steinbruch der Firma Nagel Im Hägnach bei Pfrondorf abgebaut. Dort gibt es den frostbeständigen „Pfrondorfer Rhätsandstein“, der zum Beispiel für Pflastersteine in der Tübinger Altstadt verwendet wird. Auch für Fassadenverkleidungen und Mauern wird der sehr harte Stein eingesetzt. Die Firma baute jährlich über 3.000 Tonnen Rhätsandstein und in Hochzeiten des Steinbruchs bis etwa 15 000 Tonnen ab.[1]
Der Rhätsandstein ist ein hochwertiges Baumaterial. Er ist gegen Verwitterung sehr viel beständiger als Stubensandstein. Statt mit Tonen sind seine Sandbestandteile mit Quarz verkittet. Wie festzementiert ist dieses Gestein. Bearbeiten lässt es sich aber nur schwer und für Steinmetzarbeiten von gotischen Ornamenten ist er völlig ungeeignet, weil es bei der Bearbeitung splittert.[2]
Viele Unigebäude und Bürgerhäuser in Tübingen werden von einem charakteristisch hellbraun-gelblichen Sockel aus diesem Stein getragen. Auch als Mauerstein eignet er sich hervorragend, in der Mühlstraße, der Neckarhalde oder der Gartenstraße ist das zu sehen, und das Bebenhäuser Pflaster ist ebenfalls im Nagelschen Steinbruch gebrochen worden. Zuletzt wurde der Stein in großem Stil im Parkhaus König und für die Stützmauer der Schnarrenbergstraße bei der Herrenberger Straße verwendet.
Tuepedia