Mittwochsspalte von Dr. Christian Wittlinger  7. Juli 2021   |

Von den Befürwortern der Innenstadtstrecke wird die Umsteigefreiheit am Hauptbahnhof als der große Clou, als Sieg des Komforts, als Nonplusultra gefeiert.

Dumm nur, dass die Pendler erst einmal in die Bahn ein-steigen müssen, bevor sie nicht mehr um-steigen müssen. Wie machen das die Klinik- und Institutsbeschäftigten aus Breitenholz, Bebenhausen, Degerschlacht, Dettenhausen, Dettingen, Gönningen, Hagelloch, Hemmendorf, Hirschau, Immenhausen, Jettenburg, Kayh, Kusterdingen, Mähringen, Neustetten, Oberndorf, Öschingen, Ofterdingen, Pfrondorf, Poltringen, Reusten, Rübgarten, Stockach, Wankheim, Weiler, Wendelsheim, Wurmlingen und noch weiter gelegenen Ortschaften?

Indem sie erst einmal mit dem Auto zur nächsten Haltestelle fahren – und dann in die Bahn umsteigen. Oder eher nicht: zum Beispiel, weil sie vor Arbeitsbeginn noch Kinder zur Kita und Schule bringen. Oder nach Ende der Schicht einkaufen und nicht schwer schleppen wollen, Arzt- und Friseurtermine haben. Oder schlicht, weil die direkte Straßenverbindung viel kürzer und schneller ist.

Wer hat die betroffenen Pendler befragt, wer sein Auto für eine Bahn stehen lässt? Wurden an den fünf Parkhäusern auf dem Berg und Cyberhill Befragungen durchgeführt? Wurden die Dauerparkberechtigungen und Jobtickets ausgewertet?

Wurde hinterfragt, warum derzeit 800(!) UKT-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Warteliste für einen Parkplatz stehen, und ob sie lieber in eine Stadtbahn umsteigen würden?

Wurden die Schichtzeiten in den Kliniken abgeglichen mit dem Bahn-Halbstundentakt aus Richtung Reutlingen, Herrenberg, Rottenburg und Mössingen?

Wie wurde der „Corona-Effekt“ berechnet, der viele ÖPNV-Nutzer angesichts der Enge in den Zügen wieder ans eigene Steuer treibt? Und wie der Trend zum Homeoffice, der viele Pendelfahrten überflüssig macht?

Uns sind keine konkreten Ergebnisse hierzu bekannt. Stattdessen setzen die Planer auf Verkehrsmodelle, externe Statistiken und Vermutungen und wollen uns weismachen, dass mindestens 9.200 Pendler täglich ihr Auto zu Hause stehen lassen und die große Umsteigefreiheit am Hauptbahnhof genießen werden. Im Schwäbischen haben wir dafür einen treffenden Spruch: „Wer´s glaubt, wird selig!“ Denken Sie beim Bürgerentscheid am 26. September daran.

Dr. Christian Wittlinger