Ihr Inkrafttreten wurde gestern Abend mit 21:20 Stimmen um ein Jahr auf den 1. Januar 2022 verschoben. AL Grüne und Boris Palmer ziehen in den sozialen Medien jetzt im waschechten AfD-Sprech über die “Altparteien” her, die diesen Beschluss herbeigeführt haben. Gemeint sind wir und die SPD, CDU, FDP und Teile der Linken. Die Tübinger Liste hat den Widerstand gegen die rechtlich unsaubere, für die betroffenen Betriebe kaum praktikable und daneben ebenso ungerechte wie unwirksame Steuer von Anfang an angeführt: Wir freuen uns über die Verschiebung um 12 Monate. Wir wundert uns natürlich, wie wir plötzlich zu den “Altparteien” aufgestiegen sind. Sei´s drum!
> STATT einer erneuten BILD-Schlagzeile für Boris Palmer:
> statt der mitten in der Corona-Überwindung in 2020 erforderlichen Umstellung und Vorbereitung der Betriebe auf die Steuer,
> statt der erforderlichen Um- und Einbauten für Rücknahme und Reinigung des Mehrweggeschirrs in den oft kleinen Betrieben,
> statt der technischen Umstellung ihrer Kassensysteme für die Einbuchung der steuerpflichtigen Verpackungen,
> statt all dieser komplizierten und sehr teuren Umstellungen der Betriebsabläufe
… SOLLTEN WIR in der ohnehin für so viele Betriebe existenzbedrohenden Zeit der Corona-Krise lieber auf die Kooperation unserer Gastrobetriebe bei der Einführung von Pfand- und Mehrwertsystemen und bei der Müllbeseitigung setzen. Fast alle Wirte waren seit langem bereit mitzuhelfen, die Stadt vom Einwegmüll zu befreien. Sie hatten sich in Arbeitsgemeinschaften zusammengeschlossen, um diese Kooperation untereinander und mit der Stadt zu koordinieren. Aber die Stadt wollte lieber den Weg der Steuer und des hoheitlichen Drucks gehen.
… SOLLTEN WIR AUSSERDEM lieber auf ausreichend große und zahlreiche Mülleimer oder gar innovative Müllkonzepte wie in Dänemark setzen, denn (fast alle) BürgerInnen wollen ihren Müll ordentlich entsorgen. Die Berge hier in Tübingen neben den viel zu wenigen, viel zu kleinen und immer ganz schnell überfüllten Mülleimern beweisen genau diesen guten Willen unserer Bevölkerung. Die Menschen wollen sich überwiegend richtig verhalten. Das belegen Besuche in Städten mit ausreichenden und gut sichtbaren Mülleimern (beispielhaft Hamburg mit den hellroten Eimern und tausenden von ulkigen Sprüchen) oder gar in Städten mit innovativen Lösungen wie Aarhus in Dänemark (das wir besuchten, um uns die dortige Regionalstadtbahn anzuschauen und von wo wir ein großartiges System mitbrachten, das niemand hier in der Stadt interessiert). Unsere Verwaltung behauptet seit Jahren: “Mülleimer machen Müll. Wenige und kleine Mülleimer veringern ihn.” Da ist man völlig unbelehrbar!
Zwei weitere Gründe sprachen für die Verschiebung der Steuer: Die Corona-Krise wird uns und die arg gebeutelten Betriebe noch weit ins nächste Jahr hinein beschäftigen und wird die Betriebe hart um ihr Überleben kämpfen lassen. Zudem werden gerade mehrere Bundesgesetze zum Verpackungsmüll beraten. Was die Umsetzung der EU-Plastikrichtlinie und die Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes genau an Regelungen bringt, wissen wir noch nicht. Wir sind aber zuversichtlich, dass es in vielen Punkten ähnliches vorschreiben und mit Kosten belegen wird, was die Tübinger Verpackungssteuer auch regelt. Das wird sich im Laufe des Jahres 2021 herausstellen und dann muss man ohnehin die Tübinger Verpackungssteuer nochmals anschauen, ob überhaupt noch Raum “für sie übrig bleibt” oder ob der Bundesgesetzgeber dann seine Regelungshoheit wahrgenommen und damit den Spielraum für kommunale Regelungen besetzt hat.
AUS DIESEN GRÜNDEN wurde die Verpackungssteuer gestern mit 21:20 Stimmen auf den 1. Januar 2022 verschoben. AL Grüne, die Partei, DiB und zwei Gemeinderätinnen der Linken gemeinsam mit Boris Palmer konnten die knappe Niederlage nicht abwenden.
Jetzt sollten wir nicht bis zum 1.1.2022 in Stillstand und Akzeptanz überquellender Mülleimer verfallen sondern 2020 und 2021 nutzen: Mehr echte Kooperation mit den Betrieben bei der Einführung von Mehrwegsystemen und mehr Mülleimer sind möglich. Arbeiten wir gemeinsam daran!
Wir plädieren seit langem für ein darüber hinausgehendes integiertes “Zero-Waste” Konzept und sind sicher, dass es ohne Druckmittel viel effizienter und schneller umzusetzen ist. Wer die Bürger hingegen als grundsätzlich unwillige Erziehungsobjekte betrachtet, die fast alle belehrt und zum rechten Verhalten gezwungen werden müssen, der schäumt heute angesichts der Verschiebung der Verpackungssteuer natürlich. Das geht hoffentlich vorbei und dann arbeiten wir bitte bald wieder an gemeinsamen Konzepten für die Müllvermeidung! Es gibt sie.