Mehr als Radwege

Auf Vorschlag der Verwaltung soll das Tübinger Radverkehrskonzept von 2010 aktualisiert werden. Gut so! Denn wenn noch mehr Bürgerinnen und Bürger häufiger in die Pedale treten sollen, dann müssen auch die Bedingungen dafür stimmen.

Eine bloße Fortschreibung des alten wegelastigen Konzepts wird nicht ausreichen, um die anspruchsvollen Ziele einer modernen Fahrradstadt zu erreichen. Fahrradfahren ist mehr als nur die Fortbewegung von A nach B. Wir spüren Luft, Geräusche und auch Regen, wir umfahren Autoschlangen, wir stoßen kein CO 2 aus, wir bringen Kinder und Einkäufe mit eigener Kraft ans Ziel… Radfahren ist – gerade in einer jungen Stadt – eine Art Lebensphilosophie.

Aber die lässt sich nur leben, wenn der Reiz und die Sicherheit des Radfahrens mindestens so hoch sind wie die des Autofahrens. Das Radkonzept muss auf die Aktualität zugeschnitten werden: Da sind viel mehr E-Radler als früher unterwegs, sie erreichen höhere Geschwindigkeiten, überholen rasant, brauchen Breite für Lastenräder und Anhänger. Die Wege müssen genauso gut instandgehalten, gereinigt und im Herbst von rutschigem Laub, im Winter von Schnee und im Frühjahr vom Splitt geräumt werden wie Autostraßen und Gehwege. Dieser Service ist bisher deutlich unterentwickelt.

Radfahrende und Fußgänger wollen sich so sicher wie möglich fühlen. Dazu gehören Platz auf getrennten Wegen, ebene Beläge, eindeutige Markierungen, übersichtliche Kreuzungsbereiche. Zur subjektiven Sicherheit gehört aber auch das Gefühl, dass Verstöße gegen die Verkehrsregeln konsequent kontrolliert und geahndet werden, und zwar gegenüber allen Verkehrsteilnehmern, auch gegenüber „Rüpelradlern“. Der neue Bußgeldkatalog trägt dem Rechnung, zum besseren Schutz von Radfahrenden, aber nötigenfalls auch VOR ihnen. Papiertiger können wir nicht gebrauchen. Für die Umsetzung haben Polizei und Kommune strikt zu sorgen.

Regionale Radschnellverbindungen, z.B. in Richtung Reutlingen, Rottenburg oder Hechingen, sollen mehr tägliche Radpendler in den Sattel bringen. Das wird nur funktionieren, wenn sich der verschwitzte Radler am Arbeitsort vor dem ersten Termin duschen und umziehen kann. Und wer jedes Mal auf „Fahrrad abstellen verboten“ stößt, steigt doch lieber wieder ins Auto.

Diese und viele weitere Aspekte müssen bei einem neuen Radverkehrskonzept zusammen gedacht und umgesetzt werden. An Ideen fehlt es in Tübingen bestimmt nicht.

Reinhard von Brunn