Haushaltsrede im Tübinger Gemeinderat (16.01.2025)

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Palmer,
sehr geehrter Erster Bürgermeister Herr Soehlke,
sehr geehrte Sozialbürgermeisterin Frau Dr. Schäfer-Vogel,

Wir befinden uns jetzt sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich in einer schwierigen Lage. Die Schieflage unserer städtischen Finanzen ist natürlich auch das Ergebnis

  • einer fünfjährigen Wirtschaftskrise,
  • der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine und dem Nahen Osten,
  • großer Flüchtlingswellen,
  • leider auch noch der Corona-Nachwirkungen.

Und auch die Beschlüsse auf Bundes- und Landesebene schlagen sich in vielfältiger Form auf die Aufgabenstellung und finanziellen Belastungen in den Kommunen nieder. Aber ehrlicherweise waren wir in der Vergangenheit in Tübingen haushaltspolitisch fast wundersam verschont geblieben.

Im Gegenteil, es ging sogar aufwärts.

Da hätte man in dieser Zeit wenigstens für die Zukunft konservativer planen müssen. Wir, als Tübinger Liste, jedenfalls warnten deutlich genug vor dem Nachlauf, der jetzt über uns gekommen ist. Schlimmer als erwartbar.

Aber diese Fehleinschätzung der Gesamtlage, vor allem im Hinblick, wie schnell sich das Blatt wenden kann, hat dazu geführt, dass wir uns in Tübingen vieles geleistet haben, weil man auf der Einnahmenseite doch erfreulicherweise Zuwächse verzeichnen konnte.

Man hat sehr große Investitionen umgesetzt oder ist gerade dabei umzusetzen, z.B. über 30 Mio. in die Sanierung der Musikschule, des Kepler-Gymnasiums und den Neubau des Bildungshauses Winkelwiese, …… aber auch, angelockt durch großzügige Fördermittel, sehr große, teilweise aus unserer Sicht in diesem Umfang „nice-to-have“ Investitionen getätigt, wie z.B. den ZOB, mit rund 60 Mio., der sich nach der Fertigstellung des Anlagenparks schon jetzt erkennbar zu einem zentralen Ort mit hoher Aufenthaltsqualität entwickeln kann, dazu inzwischen vier Radbrücken mit einer Gesamtsumme von 30 Mio., über deren Kosten-Nutzen-Verhältnis man unterschiedlicher Meinung sein kann.

Haushaltstechnisch besonders belastend wurden zusätzlich sehr viele neue Stellen geschaffen, die allerdings auch aus Problemstellungen unserer Gesellschaft und der Politik entstanden sind. Die damit verbundenen Aufgaben gehören nicht immer und auch nicht im Ausmaß zu den Pflichtaufgaben der Stadt.

Aber es sah ja finanziell gut aus in Tübingen im Gegensatz zu anderen Kommunen.

Ich kann mich aber noch daran erinnern, als sie selbst Herr Oberbürgermeister bei der Haushaltseinbringung vor zwei Jahren ganz deutlich auf diese, absehbar auf uns zukommende, deutliche Verschlechterung insbesondere der wirtschaftlichen und finanziellen Lage hingewiesen haben.

Allein die Dringlichkeit dieses Appells damals haben Sie quasi im nächsten Atemzug aber dadurch widerlegt, dass sie doch noch zusätzliche Gewerbesteuereinnahmen generieren konnten. Also warum sollte man die Stadt und die Stadtgesellschaft dazu bringen zu sparen? Und ganz in der Not, kann man ja immer noch Steuern und Gebühren erhöhen.

So wie vor ein paar Jahren, als man die Grundsteuer vorübergehend von 560 auf 660 angehoben hatte. – VORÜBERGEHEND!

Sie haben diese Möglichkeit des Handelns in ihrer Antwort auf unsere Stellungnahme im Tagblatt vor wenigen Tagen angedeutet. Und allein diese Andeutung ist in verschiedener Hinsicht gravierend:

Sie würden damit ihr Wort brechen, auch wenn Sie sich vehement dagegen wehren, nachdem sie versprachen die neue Grundsteuer zunächst aufkommensneutral zu halten.

Und gerade, weil diese Neubewertung sowieso schon teilweise massive Zusatzkosten für Eigentümer und Mieter mit sich bringen wird, die erst mal verkraftet werden müssen und manche älteren Menschen und Familien an die Grenzen der Finanzierbarkeit bringen, darf der schnelle Griff in die einfache Trickkiste Grundsteuererhöhung nicht die Lösung sein.

Es ist der Punkt erreicht, wo es so ohne Ausgabenkürzungen nicht mehr weitergehen kann.

Die Konsolidierungsliste war ein erster Schritt. Aber auch nicht mehr. Die 234 Positionen waren teilweise mit offenen Erläuterungen oder kaum nachvollziehbaren Beträgen hinterlegt und auch in der potenziellen Einsparsumme absolut nicht ausreichend.

Nur als Vorstellung über einzelne Posten, mit denen wir uns beschäftigen mussten:

Das ging von 200 € Beitritt zum Netzwerk Gesunde Städte bis über 1 Mio. bei den Kita-Gebühren – mit einem Konzept oder ohne?

Dies als Tübinger Standard der Gemeinderatsbeteiligung zu loben, ist schon vermessen, bzw. was hier vor allem zu loben ist, ist die Geduld und die Bereitschaft des Gemeinderats, auf dieser Grundlage mit nach Lösungen zu suchen.

Tatsächlich allerdings wurden in dieser Konsolidierungsliste erstmalig sehr schmerzhafte Dinge benannt, die viele in der Stadtgesellschaft zu Recht aufgeschreckt haben.

Die anscheinend dahinter liegende Strategie, die Zuwächse der letzten 12 Jahre seien am ehesten entbehrlich, weil Tübingen schon damals gut gelebt hat, klingt gut, geht aber teilweise vollkommen an der Entwicklung der letzten Jahre vorbei.

Auf alle Fälle hat diese Liste eine große Aufmerksamkeit bewirkt und den Blick auf den städtischen Haushalt verändert.

Und da wären wir bei dem Thema, das von unserer Seite schon in den Haushalten der letzten Jahre die Marschrichtung eindeutiger hätte bestimmen müssen.

Die Klärung was sind die absoluten Pflichtaufgaben einer Kommune und was kann/ darf sie sich freiwillig leisten.

Wir müssen uns eindeutig dieser Frage stellen, wenn es überhaupt einen genehmigungsfähigen Haushalt geben soll.

Sollte man meinen!!

Jedoch schon bei der ersten Haushaltsentscheidung, der ersten freiwilligen Leistung, die abgestimmt wurde, hat eine knappe Mehrheit im Gemeinderat leider aus (mir anders nicht erklärbar) ideologischen Gründen die „Tübinger Rabattierung des D-Tickets“ beschlossen.

Diese Freiwilligkeitsleistung in Millionenhöhe, deren Wirkung für den Klimaschutz in den Sternen steht, hätte mit Kenntnis der drohenden Haushaltsschieflage niemals so befürwortet werden dürfen und die Mittel hätten für die Pflichtaufgaben reserviert werden müssen.

Die Tatsache, sich auch noch dafür zu rühmen, dass man einem Teil der Bevölkerung in dieser Universitätsstadt, in Kenntnis der Konsolidierungsliste und ihrer teilweise gravierenden Konsequenzen, so ein unnötiges Geschenk bereitet, hat mich schon damals geschüttelt.

Aber zurück zum Haushalt!

Was sind die Pflichtaufgaben:

Sie umfassen Bereiche wie Bildung, soziale Infrastruktur, Sicherheit und die Instandhaltung der kommunalen Infrastruktur.

Hier müssen wir unsere finanziellen Mittel einsetzen, denn diese Aufgaben bilden das Rückgrat unserer Stadt.

Freiwillige Leistungen hingegen sollten auf ihre Notwendigkeit hin kritisch überprüft werden. Diese Prüfung darf nicht willkürlich erfolgen, sondern muss transparent und nachvollziehbar sein.

Wir müssen uns fragen:

Welche Ziele verfolgen wir in Tübingen zum Wohle unserer Bürger? Wie und wo müssen wir investieren, um den gesellschaftlichen Problemstellungen auf lokaler Ebene entgegenzutreten?

Welche Projekte, welche Ausgaben tragen langfristig zur Lebensqualität in Tübingen bei?

Es muss dabei nicht immer gleich grundsätzlich um Ja oder Nein gehen. Manches lässt sich zurückstellen oder reduzieren.

Manches muss aber auch neu betrachtet und priorisiert werden. Ein paar Bereiche möchte ich beleuchten:

Die Investitionen in die Infrastruktur

Ein großer Teil der finanziellen Belastungen Tübingens in der Vergangenheit resultierte aus Investitionen in teilweise selbst auferlegte Großprojekte, die schon vorher benannt wurden.

Hier hat die Verwaltung tatsächlich schon einen lobenswerten Priorisierungsprozess angestoßen, auch im Bereich der Kosten mehr Transparenz eingeplant und dadurch manch eigentlich schon geplante Neuinvestitionen zurückgestellt.

 

Allerdings wird auch immer deutlicher, dass ein anderer Schwerpunkt in diesem Bereich getroffen werden muss, denn in den vergangenen Jahren wurde deutlich zu wenig in die notwendige Erhaltung bestehender Infrastruktur investiert.

Viele große Schlaglöcher auf sanierungsbedürftigen Straßen, Rad- und Fußwegen, Brücken und öffentliche Gebäude zeugen von diesem Nachholbedarf.

Die Uhlandhalle ist ein aktuelles Beispiel. Diese dringend und schon längerfristig sanierungsbedürftige Halle ist unverzichtbar für den Schulsport dreier Gymnasien und zahlreicher Vereine. Hier ist eine rasche und umfassende Sanierung notwendig, die für den nächsten Haushalt eine große Herausforderung bedeuten wird.

Klimaschutz

Der Klimaschutz bleibt eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Tübingen hat sich mit seinem Ziel, bis 2030 das Klimaprogramm umzusetzen, eine extrem ambitionierte Aufgabe gestellt, zu ambitioniert, wie sich jetzt zeigt!

Diese Aufgabe war aus unserer Sicht nie richtig durchgeplant und durchgerechnet.

Man ist trotz großer finanzieller Anstrengungen nicht in allen Sektoren wirkungsvoll vorangekommen oder die Wirkung ist nicht nachweisbar.

z.B. Fernwärme: Wir sind zwar fleißig in der Erschließung und beim Thema Kommunale Wärmeplanung, aber unsere Fernwärme wird immer wohl noch bis lange nach 2030 überwiegend fossil erzeugt werden.

Die Stadtwerke, als unser Partner im Klimaschutz, bemühen sich zwar in ihren Sektoren, aber sie müssen sich auch insgesamt als Unternehmen einer veränderten Wettbewerbssituation stellen.

Immerhin gelingt es im Stromsektor den Anteil der Erneuerbaren Energien nachhaltig zu erhöhen.

Auch im Sektor Bauen kommt man bei der Umsetzung von messbarem Klimaschutz sowohl beim Wohnungsbau durch die GWG als auch bei den städtischen Gebäuden scheinbar gut voran.

Die GWG ist hier ein willkommener Partner bei der Schaffung von mehr und auch günstigem Wohnraum in der Stadt, den wir auch weiterhin gut unterstützen müssen.

Zurück zum Klimaschutz:

Große Hürden treten beim Bereich Mobilität auf, weil die Umstellung auf E-Busse sowohl im Fahrzeug- als auch im Ladebereich finanztechnisch zu einer denkbar schlechten Zeit stattfinden muss. Den attraktiven Busverkehr zu reduzieren, scheint für den Betreiber SWT aktuell die einzig mögliche betriebswirtschaftlich Reaktion zu sein.

Auch die viel zu starke Konzentration auf den Radverkehr kommt nun als Bumerang zurück.

Die millionenschweren Investitionen und den personellen Einsatz für den Radverkehr, dessen relative Wirkung für den Klimaschutz in Tübingen bisher nicht nachgewiesen ist, hätte sogar ich, wo ich mich ausschließlich mit dem Rad fortbewege, stattdessen lieber bei einem umfassenden Mobilitätskonzept gesehen, dass den ÖPNV, motorisierten Individualverkehr, sowie Rad- und Fußverkehr insgesamt umfasst.

Aber das fehlt bisher total.

Einen wichtigen Bereich der Pflichtaufgaben betrifft das Thema Kinder und Jugend:

Hier schlagen im Haushalt besonders die seit langem und unvermindert währende Schwierigkeit der Versorgung mit Kita-Plätzen bzw. die Gewinnung von dringend benötigtem Fachpersonal auf.

Die Verwaltung setzt aber tatsächlich viele Hebel an, wie z.B. den Testlauf mit dem Erprobungsparagrafen, um diese Misere zu verbessern.

Welche anderen Möglichkeiten zur Sicherung der Öffnungszeiten und der damit verbundenen Vereinbarkeit von Arbeit und Familie noch erfolgreich umgesetzt werden können, müssen wir weiterhin zusammen mit den Eltern ausprobieren.

Die Investition in selbst ausgebildetes Personal und auch von Fachkräften aus dem Ausland scheint u.a. eine Lösungsstrategie zu sein.

Erfreulicherweise sind wir bei den Investitionen im Bereich der Schulen besser unterwegs.

Wenn auch im Haushalt das ein oder andere Projekt geschoben werden muss, so dürfen wir uns u.a. über den Neubau der Köstlinschule mit Turnhalle, Bildungshaus Winkelwiese, etc. freuen.

Allerdings werden wir auch hier durch G9 und die Neuordnung der Übergänge aus den Grundschulen in Zukunft Veränderungen finanzieren müssen.

Daneben muss auch die Digitalisierung in den Schulen weiter umgesetzt werden, insbesondere den Support, der laut Aussage der Schulen dringend ausbaufähig ist.

Die Frage nach der Schulsozialarbeit und den Gruppenpädagogen, kann unserer Meinung nach nicht mit dem Hinweis auf den Landesstandard beantwortet werden.

Die Dynamik der Veränderung gerade in diesem Bereich in den letzten Jahren (Corona, Kriege, Klima, Existenzängste, veränderte Familienstrukturen,  …) lässt nur schwerlich eine Festlegung auf einen Standard zu.

Das fängt bei den Kitas an und geht über die Grundschulen bis hin zu den Gymnasien. Hier müssen wir froh sein, überhaupt so eine Betreuungsmöglichkeit zu haben.

Vielleicht, oder besser hoffentlich, können hier Probleme schon aufgefangen werden, die uns sonst später an anderer Stelle richtig viel Geld kosten.

Zumindest muss ein gutes Konzept als Entscheidungsgrundlage vorliegen.

Um Menschen geht es auch bei der Pflicht zur Betreuung im Bereich Migration.

Hier sind wir durch die Top-down Politik in vielen Belangen gefordert bzw. überfordert, ohne ausreichende Mittel aus Berlin oder Stuttgart zu bekommen. Die Bereitstellung von Wohnraum und die Betreuung wird bestmöglich umgesetzt, allerdings sollten man aber auch diese Personen früher und verstärkt in die Verantwortung nehmen.

Allein die Auswirkungen auf die Bereiche Wohnen, Kita und Schule sind gravierend und erfordern weiterhin die Suche nach kommunal finanzierbaren Lösungen.

Noch zwei weitere Gruppen auf die ich besonders zu sprechen kommen will.

Gerade junge Menschen brauchen Unterstützung und Freiräume. Und davon gibt es in Tübingen leider relativ wenig. Das Bricks und auch die Jugendtreffs sollten hier auf alle Fälle weiterhin gefördert werden.

Die Freizeit wird oft in Sport- und Musikvereinen verbracht.

Diese zumeist ehrenamtlichen Institutionen, die einen riesigen Beitrag zur Sozialisierung, Integration und auch Gesundheit in unserer Stadtgesellschaft übernehmen, dürfen wir nicht durch unüberlegte Kürzungen an den Rand der Existenz bringen.

Und auch für ältere Menschen muss die Stadt bereit sein, entsprechende Angebote zu gewährleisten, die einer alternden Stadtgesellschaft Rechnung tragen.

Die zahlreichen Angebote basieren häufig auf sehr großem ehrenamtlichem Engagement und benötigen trotzdem sehr viel Unterstützung von städtischer Seite.

Auch hier muss man mit Kürzungen sehr sensibel umgehen.

Bleibt nur noch die Frage nach dem Hallenbad!!, die noch weit-reichende Konsequenzen auf den zukünftigen Haushalt haben wird.

Und nun komme ich langsam zum Ende meiner Rede.

Erst wenn alle Ausgaben auf ihre Plausibilität, ihre Notwendigkeit auf dem Prüfstand waren, erst dann darf man an die Einnahmeseite gehen, um einen genehmigungsfähigen Haushalt zu erreichen.

Wir haben mehrere Einsparungsvorschläge gemacht, wie z.B. Einsparung D-Ticket-Zuschuss, kostenloser Samstag oder Stellenreduktion oder zeitweise Besetzungssperre, die zusammen mit den anderen Vorschlägen einen sehr großen Millionen-Betrag einsparen würden, um den Haushalt genehmigungsfähig zu machen.

Ihre Vorstellung von der Höhe des Defizits von 20 Mio., dass das Regierungspräsidium durchwinken würde, würde uns zwar freuen. Wir glauben aber hier als Orientierungsgröße eher an die Höhe der Abschreibungen in Höhe von 15 Mio.

Und nur zur Erreichung dieses Zielwertes und damit zur Genehmigung des Haushaltes gäbe es für uns Veranlassung, als letztes Mittel über eine wie auch immer geartete Steuererhöhung überhaupt nachzudenken.


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