Ernst Gumrich hat sich tiefer als die meisten in das Thema Verpackungssteuer eingearbeitet.

Hier finden Sie den Originalton der Verwaltung: Vorlage241/2019 und Satzungsentwurf
Und nachfolgend Gumrichs Kommentar zur Entscheidung des Gemeinderats, zunächst noch einmal ein Rechtsgutachten zu bemühen:

Wir wollen alle die gleichen Ziele erreichen. Tübingen soll weniger vermüllt werden, wir wollen alle die Menge der umweltverschmutzenden und unsere Ressourcen verbrauchenden Verpackungen reduzieren. Wir wollen alle gegen den Wohlstandsmüll-Wahnsinn angehen. Aber anders als ein Herrscher in absolutistischer Zeit, der seinem geplanten großen Park im Wege stehende schäbige Häuser kleiner Bauern einfach über Nacht abreißen konnte, um “Großes” zu schaffen, muss ein Staat heute auch das Recht “der Kleinen” wahren. Das Recht ist nichts anderes als der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger fair behandelt und in ihren Rechten gewahrt zu werden. Tut der Staat das nicht, ist auch eine städtische Satzung wie die Verpackungssteuer nicht rechtmäßig. 
Die Verpackungssteuer verletzt nach unserer Meinung die Rechte der etwa 60-80 in Tübingen betroffenen Betriebe mit ihren über 2.000 Mitarbeitern. 
Es ist überhaupt nicht klar, welche Verpackung unter die Regelungen der Verpackungssteuer fällt und welche nicht. Eine Vorschrift oder Steuer muss aber “bestimmt” sein, sonst weiß der Bürger nicht, ob er sich korrekt verhält oder das Gesetz bricht, ob er zahlen muss oder nicht, ob er ein Steuervergehen begeht oder nicht.
Eine Vorschrift muss auch Gleiches gleich behandeln. Sie darf nicht willkürlich Dinge bestrafen oder besteuern, ganz gleiche andere aber willkürlich davon ausnehmen.

Der Staat darf auch keine Gesetze und Verordnungen erlassen, die die sog. Berufsfreiheit einschränken. Er darf Menschen, die sich mit einem Geschäft ihre Lebensgrundlage aufgebaut habe, nicht plötzlich sagen: “Dann sucht Euch einfach eine anderes Beschäftigung.” “Erfindet euer Geschäft einfach komplett neu, ob das geht und ob Ihr das praktisch und wirtschaftlich leisten könnt, ist doch nicht unser Problem”. Er muss auch sie schützen und deshalb ganz genau prüfen, wie viel zusätzliche Belastung möglich ist, ohne es diesen Bürgerinnen und Bürgern unmöglich zu machen, sich und Ihre Familie zu ernähren. Er darf Veränderungen erzwingen, er darf ihnen aber von ihnen nur verlangen, was sie auch leisten können.
Das waren nur drei der Gründe, die rechtlich gegen die Tübinger Verpackungssteuer sprechen, wie sie gestern eigentlich zur Verabschiedung anstand und mit der der Oberbürgermeister bundesweit Furore machen möchte. Alle drei genannten Grundsätze (und noch ein paar andere) sind von der aktuellen Satzung sehr offensichtlich verletzt. 

Viele Menschen wollen heute lieber den zupackenden Staat, der für seine großen Ziele auch mal über die Rechte der Einzelnen hinwegfahren darf (außer ihre eigenen). Sie tun dann das Recht als bloße Ausflucht ab, es fallen Worte wie “na ja, formaljuristisch”, sie werfen unseren Mitbürgern, die sich juristisch wehren vor, das große Ganze nicht zu sehen, nicht einsichtig zu sein, nicht zu kapieren “welche Stunde geschlagen hat”. 

Deshalb stimmten wir gestern zu, dass sich die Stadt jetzt doch auch selbst guten Rechtsrat holt, bevor sie die Steuer gegebenenfalls weiterverfolgt und erneut im Gemeinderat zur Abstimmung stellt. Ein guter Rechtsrat wird ihr erläutern, dass diese Satzung und Steuer so wie sie aktuell vorliegt auf jeden Fall nicht “rechtmäßig” wäre. Ob es einen Weg gibt, der die obigen Grundsätze, die Grundrechte jedes Tübinger Mitbürgers wahrt, wird man dann sehen. 
Unser Eintreten für diese Tübinger Betriebe wurde auch gestern wieder in ein schiefes Licht gerückt, und es wurde so getan als würden wir irgendwelche Großkonzerne schützen wollen. Wir könnten hier die Namen von 35 kleinen Tübinger Betrieben nennen, bei denen Ihr häufig esst, die uns geschildert haben, was mit der Steuer auf sie existenzbedrohend zukommt und die dann untereinander Geld gesammelt haben (in Beträgen zwischen € 50 und einem “Großspender” mit € 200), um eine renommierte Kanzlei zu fragen und um ein Gutachten zu bitten: Ist diese Verletzung unserer Rechte rechtmäßig? Und dann müssen sich diese Menschen und Mitbürger öffentlich von unserem Oberbürgermeister als Lobbyisten bezeichnen lassen, die sich ein Gefälligkeitsgutachten erkaufen.
In einem Begleitschreiben zum Rechtsgutachten hatten die Betriebe nochmals zugesagt, dass sie sehr aktiv an gemeinsamen Pfandsystemen, an der Müllverminderung und Beseitigung und an umweltverträglichen Verpackungen mitarbeiten wollen. Dass die Stadt sie doch bitte in Arbeiskreise einladen soll, um gemeinsam die Probleme zu lösen. Hörten sie gestern von der Stadt ein freundliches und offenes “Wir haben verstanden”, “Wir müssen wirklich endlich anfangen, miteinander zu sprechen”, ein “wir werden Euer Angebot gerne aufgreifen”? 
Wir hörten es leider nicht.

Ernst Gumrich, 12. Oktober 2019

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