Tübingen braucht für die richtige Entscheidung die richtigen Vorbilder: Aarhus und eine weitere vorbildliche Stadt mit Aa…..

Wir erwähnen immer wieder Aarhus in Dänemark als ein Beispiel dafür, wie man eine Regionalstadtbahn verkehrstechnisch und ökologisch im Jahr 2021 richtig plant und umsetzt. Die Stadt Aarhus wird von der dortigen Regionalstadtbahn mit einem großen Umland verbunden. Sie fährt dann in einer Tangente ganz nah am Zentrum entlang, überlässt die Verteilung der Menschen von ihren zahlreichen stadtnahen Haltestellen in die alte Stadt hinein dann aber den Bussen, den Leihrädern etc. Und diese Busflotte wird bereits 2027 komplett und 100% abgasfrei sein.

Wir waren extra letztes Jahr nach Aarhus gefahren und hatten uns dieses tolle Beispiel angeschaut. Genau solch eine Situation bekämen wir auch nach unserem Alternativkonzept in Tübingen: An zehn städtischen Haltestellen der Regionalstadtbahn werden wir mit der Region verbunden sein. Vor dort bringen Tangential- und Direkt-Buslinien, z.T. mit eigener Spur, die Menschen auf kürzestem Weg in die Stadt und zurück.

Die Dänen sind nicht umsonst seit langem und auch wieder 2020 im Ranking der zehn umweltfreundlichsten Länder nach dem Environmental Performance Index (EPI) die klare Nummer 1 geworden. Undogmatischer Pragmatismus und Professionalität sind wirksamer als die oft dogmatischen deutschen Belehrungsorgien. Deutschland wurde damit leider wieder nur die Nummer 10 von 10. Also wäre es angebracht, dass wir -auch im vermeintlich vorbildlichen Tübingen- von unserem hohen Ross absteigen und uns bereit machen, von anderen Städten in der Welt zu lernen, die in Sachen Ökologie ziemlich gut wissen, was sie tun.

Dann jedoch bekamen wir eine Mail eines Befürworters der Innenstadtstrecke in Tübingen, der uns süffisant vorschlug: „Dann schaut doch bitte mal nach Aalborg in Dänemark! Die planen eine Regionalstadtbahn und das mitten durch die alte Stadt zum dort entstehenden Großklinikum mit 6.000 Beschäftigten.“

Da recherchierten wir natürlich gleich im Netz und telefonierten mit Bekannten dort. Hat die Stadt Aalborg in Nordjütland, wie wir eine Universitätsstadt, allerdings mit 120.000 Einwohnern, mit dem Bau der Straßenbahn mitten durch die alte Stadt schon begonnen? Wir hatten zuvor nur von den Plänen gewusst, aber das Projekt war seit Jahren immer nur in der Planung geblieben. Und wird jetzt etwa tatsächlich dort das bereits gebaut, was es nach dem Wunsch der Befürwortern der Tübinger Innenstadtstrecke ab etwa 2030 auch hier geben soll?

Beruhigendes Ergebnis unserer Recherche: Da baut man zwar im Augenblick ganz heftig in der Innenstadt, nur gerade nicht an der Stadtbahn. Man hatte vor zwei bis drei Jahren in Aalborg rechtzeitig noch einmal gemeinsam ganz tief nachgedacht. Und man hatte mit der Bevölkerung wirklich ergebnisoffen diskutiert. Danach wurde ein alter Zopf mutig abgeschnitten. Das über viele Jahre fast mit Inbrust vorangetriebene „Letbane-Projekt“, der mitten durch die Innenstadt fahrenden Regionalstadtbahn wurde komplett und endgültig aufgegeben, alle Vorarbeiten weggeworfen und durch ein Schnellbus-System „Busplus“ mit weitgehend eigenen Fahrspuren ersetzt:

Wir fanden als Gründe für diese komplette Umkehr folgende Argumente benannt: Schnellbusse sind ökologischer, viel günstiger, städtebaulich verträglicher, bedarfsgerecht anpassbar und in unserer Zeit der radikalsten Umwälzung der Mobilität seit der Abschaffung der Pferdedroschke und der Einführung der Kraftfahrzeuge auch wirklich technologieoffen.

Man hatte in der befreundeten und nahen Stadt Aarhus auch inzwischen gelernt, dass deren Art der tangentialen Anbindung bereits alle wesentlichen Vorteile einer Regionalstadtbahn realisiert. Es braucht den Stich mitten ins Herz der Stadt nicht, um die Pendler zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen. Die Kombination der Regionalstadtbahn und dann des Bus-Systems in die Stadt hinein wird extrem gut angenommen und hat den Modal Split ganz stark verbessert.

Wir können -anders als seinerzeit nach Aarhus- jetzt leider nicht nach Aalborg fahren, um uns vor Ort einen unmittelbaren Eindruck zu verschaffen. Die Grenzen nach Dänemark sind geschlossen. Wir haben aber fast alles gelesen, was das Netz dazu hergibt und werden versuchen, telefonisch an die Stadtplaner in Aalborg heranzukommen. Nach den bisher gesichteten Dokumenten wird deutlich, dass die Gründe für die Abkehr von der „Letbane“ in Aalborg ziemlich exakt dieselben waren, die wir in Tübingen gegen die Innenstadttrasse ins Feld führen. Und auch die dortige Begründung für die Alternative zur Bahn, das „plusbus“-Systems gleicht sehr unseren Argumenten.

Die 120.00 Menschen in Aalborg haben sich mit ihrer Verwaltung gemeinsam gegen eine Innenstadtstrecke entschieden. Mal schauen, ob die Tübinger_innen im September bei Bürgerentscheid eine ähnlich gute Wahl treffen. Hier werden die Bürger_innen es allerdings gegen die Verwaltung und auch gegen eine Mehrheit der Fraktionen im Gemeinderat tun müssen, die unbeirrt an den 20 Jahre alten Plänen festhalten wollen. Und noch nicht einmal über solche Beispiele in anderen europäischen Ländern sachlich reden wollen.

Aber zum Abschneiden alter Zöpfe sind Bürgerentscheide da und das haben sie in Tübingen auch immer sehr erfolgreich getan.