Die Klimaziele erreicht eine Stadt nur gemeinsam.
Dieser größte Umbau seit mehr als einem Jahrhundert soll in nur 10 Jahren bewerkstelligt werden. Bei dem Ziel gibt es eine große Geschlossenheit. Das bringt uns auf den Weg, gibt den Impuls zum Aufbruch, eine grobe Richtung und ein Zielbild, das uns motiviert. Den konkreten Weg aber, seine Etappen, seine erforderliche Logistik, seine Ausrüstung und Finanzierung, seine Routenoptimierung: All das steht buchstäblich noch nirgends. Aber da muss es hin, mit viel Abwägung, in stetig aktualisierte Einzelpläne und deren Zusammenführung in Gesamtszenarien, die die vielen gegenseitigen Abhängigkeiten harmonisieren. Hierüber müssen wir als Stadtgesellschaft offen, engagiert, begeistert und kritisch diskutieren und auch diskutieren dürfen. Wir sollten keine Zaungäste dieser nach oben wegdeligierten Entscheidungsprozesse sein. Wir dürfen und müssen nachfragen, die Pläne sehen wollen, ihre Plausibilität prüfen.
Das müssen wir als Stadt im Moment noch lernen, denn zu viele nehmen fälschlich an, man könne das Finden des Weges einfach an „unsere“ Verwaltung delegieren. Man dürfe am besten auch nicht durch kritische Fragen über den ökologischen Sinn geplanter Maßnahmen oder nach den Gründen für unterlassene andere Vorhaben den Prozess „stören“. Wir halten dem entgegen: Die in einer Stadt vorhandene Kompetenz – in und außerhalb der Verwaltung- sollte genutzt werden und ein konstruktiv kritischer Dialog über die Maßnahmen muss möglich und erwünscht sein. Immerhin will Tübingen jährlich 100 Millionen Euro dafür ausgeben, diesen Klimaumbau zu bewältigen.
Unsere Mittwochspalte vom 19.01.2022 versuchte diesen Wunsch in 2340 Zeichen zu gießen, hier der Text:
Am Montag diskutierte der Klimaschutzausschuss den Fortgang des Klimaschutzprogramms. Die Tübinger Liste hatte daran vor einem Jahr mit wichtigen Ergänzungen mitgearbeitet.
Zum Erreichen der Klimaziele rechnet die Verwaltung bis 2030 mit einer Milliarde Euro Kosten, also 100 Millionen pro Jahr! Jeder einzelne Euro dieser Klimamilliarde stammt aus Steuern. Dann muss das Geld auch eine hohe Klimawirkung haben. Aktionistische und populäre Maßnahmen, für die viel Geld aufgewandt wird, in denen aber wenig Klimaschutz steckt, würden sehr bald als Mogelpackungen aufgedeckt. Frühzeitige kritische Fragen nach dem Verhältnis der Kosten zur ökologischen Wirkung sind daher für die Akzeptanz und für den langfristigen Erfolg des Klimaprogramms essentiell.
Das geplante 365-Euro-Ticket des TüBus ist da ein Beispiel. Ja, mehr ÖPNV ist nötig, ja, dieses Ticket entlastet viele angenehm und ja, die Maßnahme ist schnell umsetzbar! Aber ist sie auch klimawirksam? Unsere Nachfragen haben ergeben: Der erforderliche jährliche Zuschuss der Stadt von 1,2 Millionen Euro geht fast zur Hälfte an die TüBus-Bestandskunden, deren heutige Abos preisreduziert werden oder die aus nicht preisreduzierten Tarifen in das neue preisreduzierte Abo wechseln. Von ihnen steigt also niemand vom Auto auf den Bus um. Der ökologische Effekt ist Null. Nur Neukunden (die vorher Autofahrer waren) verbessern die Klimabilanz. An sie werden nach der Prognose der Stadtwerke aber weniger als 4.000 Monatskarten im Jahr zusätzlich verkauft. Das sind, auf Jahres-Abos umgerechnet, gerade mal gut 300 wirkliche Neukunden.
Die Tübinger Liste versteht das Klimaschutzprogramm als eine sehr konkrete Aufgabe, die Stadt von Grund auf umzubauen. Jeder Straßenuntergrund und fast jedes Haus sind betroffen. Wie Generationen vor uns, als man Stadtmauern brauchte, als die Kanalisation und später der Strom in die Stadt kamen, muss die Bürgerschaft erneut Bauherr und Financier einer großen Umgestaltung werden. Wir brauchen dafür Entschiedenheit, Kompetenz, Struktur und Sorgfalt, Sparsamkeit und Ausdauer. Über die Klimaziele besteht zum Glück Einigkeit. Um jedoch den richtigen, einen finanzierbaren und umsetzbaren Weg dorthin zu finden, müssen wir lernen, offene, leidenschaftliche und dabei wertschätzende Diskussionen über das Wie auszuhalten, inklusive kritischer Fragen.