Hier die Rede im Gemeinderat von Thomas Unger.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Palmer,
sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Schäfer- Vogel,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Soehlke,
liebe Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats,
wir alle stehen vor großen Herausforderungen in einer Zeit, die von Krisen geprägt ist.
Der Klimawandel, die Corona-Pandemie, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, zuletzt der Überfall auf Israel und die verheerenden Folgen für den Gazastreifen und andere weltweite Spannungen haben unsere Welt in einen anhaltenden Krisenmodus versetzt.
Diese Herausforderungen sorgen auch für große Verunsicherung über die Zukunft in allen Teilen der Gesellschaft. Dazu kommt noch der aufstrebende Nationalismus, dem allerdings vor wenigen Tagen eine starke gemeinsame Kraft entgegengetreten ist.
Hier auch noch mein besonderer Dank an die Mitinitiatoren vom Jugendgemeinderat.
Und genau so ein Auftreten, solche Lösungen sind gefragt in unserer heutigen Zeit. Denn es sind auch die persönlich spürbaren Herausforderungen, wie Inflation, Flüchtlingskrise, Wohnungsnot oder die Energiekrise, die uns lokal und persönlich fordern.
Wir spüren, wo wir Veränderung brauchen und erreichen müssen, sei es hinsichtlich unseres Klimaschutzprogramms 2030, der Digitalisierung, der veränderten Lebens- und Arbeitswelt etc.
Diese Themen sind aber begleitet von einem breitgestreuten Mangel an bezahlbaren Wohnungen, an Fachkräften in zu vielen Bereichen.
Es ist eine tiefgreifende Transformation notwendig, um diesen aktuellen und zukünftigen Aufgaben zu begegnen.
Auch wir in unserem Mikrokosmos Tübingen müssen uns dran machen, sollten dabei aber nicht vergessen, wie gut es uns hier im Vergleich zu anderen Städten und Regionen geht
Was bedeutet dies nun für unseren zukünftigen städtischen Haushalt?
Sie, Herr Oberbürgermeister Palmer, haben es im Vorfeld schon angemahnt, und die Nachrichten der letzten Zeit aus anderen Städten, dem Kreis, Handwerkern oder IHK haben es noch verdeutlicht, dass zukünftig mit einer deutlich schlechteren Finanzlage zu rechnen ist, selbst wenn es in diesem Moment noch nicht so offenkundig ist.
Zu oft schon hat sich in der Vergangenheit doch noch eine positive Korrektur ergeben, zum einen auf der Ertragsseite bei den Gewerbesteuern, die im Ansatz zu gering eingeschätzt waren, aber genau diese Position wird in Zukunft von noch mehr Unsicherheit betroffen sein. Auf der Aufwandsseite hat man in der Vergangenheit immer deutlich zu hohe Ansätze gehabt und korrigieren müssen. Dies hat man im vorliegenden Haushaltsentwurf schon einbezogen. Auch die Kreisumlage hat sich wesentlich erhöht.
Insgesamt liegt unser Problem deutlich auf der Ausgabenseite
Dabei kann man zwei Kategorien ausmachen.
- Ausgaben, die aus Personalstellen resultieren, die einmal geschaffen, auch in den Folgejahren steigende Kosten verursachen
zum anderen - Ausgaben für die zahlreichen Neuinvestitionen
(z.B. 3 Radbrücken für rund 25 Mio oder den ZOB),die damit verbundenen zusätzlichen hohen Abschreibungen und die, außer bei den Schulen, relativ geringen Investitionen in den Erhalt der Infrastruktur. Man denke nur an unsere sanierungsbedürftigen Straßen und Brücken.
Zu diesem Bereich zählen ebenfalls unsere Tochtergesellschaften, wo beim TüBuS ein hohes Defizit ausgeglichen werden muss, ebenfalls im Bäderbereich, bei der AHT und so weiter.
Deshalb haben Sie, Herr Palmer, als erste Aufgabe nach der Kommunalwahl für September eine Haushaltskonsolidierung angekündigt.
Politisch geht so etwas vor der Wahl nicht, deshalb muss man dies auf einen Zeitpunkt direkt nach der Wahl des neuen Gemeinderats verschoben.
Bedeutet aber im Klartext, eigentlich hätte man schon bei diesem Haushalt auf die Bremse treten sollen.
Entsprechend der Ankündigung der baldigen Haushaltskonsolidierung hat die Verwaltung folgerichtig jetzt einen eher zurückhaltenden Haushaltsentwurf vorgelegt.
Wir, als Tübinger Liste, stehen schon immer für eine verantwortungsvolle und sparsame Haushaltspolitik und haben deshalb mit unseren Haushaltsvorschlägen ein Zeichen setzen wollen und praktisch keinen zusätzlichen Antrag gestellt.
Ein Mehr an Kosten ist aus unserer Sicht nur gerechtfertigt, wo es unaufschiebbar, und oder unabweisbar,
d.h. wirkliche Notwendigkeiten sind.
Wir möchten auch anerkennen, dass so manche andere Fraktion in die ähnliche Richtung gedacht und auch eher zurückhaltend Vorschläge gemacht haben, zwar nicht so konsequent wie wir, aber immerhin.
Wir werden uns in den interfraktionellen Verhandlungen auch offen für die Vorschläge der anderen Fraktionen zeigen, allerdings unter der Maßgabe,
was ist unaufschiebbar, unabweisbar, d.h. wirkliche Notwendigkeiten.
Bestenfalls setzen wir uns ein Gesamtlimit, über das wir den Haushalt nicht weiter belasten wollen.
Tübingen hat noch so viele Baustellen. Eigentlich ist der Begriff Baustellen negativ belegt, deshalb komme ich zu der Begrifflichkeit Herausforderung zurück.
Wir haben große Herausforderungen vor uns. Und hier geht es nicht nur um finanzielle Herausforderungen.
Man denke an das Ziel „Tübingen klimaneutral 2030“, wo wir uns im Energiebereich sicherlich auf einem gefühlt guten, jedoch nicht evaluierten Weg befinden, allerdings in puncto Bereitstellung der dazu nötigen Infrastruktur noch einiges investieren müssen.
Aber im Mobilitätsbereich tun wir so, als wäre das Fahrrad allein die Lösung.
Wo ist das Engagement für die Mobilitätskonzepte der Zukunft?
Die letzten Jahre in diesem Bereich waren geprägt durch drei Kernaussagen,
Autos rauszubringen und Straßenraum nehmen, die Innenstadtstrecke durch die Mühlstraße, und überall den Fahrradverkehr zu forcieren.
Die Mobilität in der Stadt Tübingen wird nicht allein durch das Fahrrad gelöst.
Und das sage ich ihnen als ein Mensch, dessen Mobilität zu 97% aus Radfahren besteht.
Das Fahrrad und der Radverkehr sind wichtig in Tübingen und auch an vielen Stellen dringend verbesserungswürdig. Dazu hat man auch erst vor wenigen Tagen sich auf einen Grundsatzbeschluss zum Radverkehrskonzept 2030 verständigt.
Aber zur Mobilität gehört eben auch der Motorisierte Individual Verkehr, die Fußgänger und vor allem der ÖPNV mit all seinen Facetten dazu. Denn der ÖPNV kann 2030 technologisch ganz anders aussehen als heute. Er muss das auch, wenn er den MIV nicht nur um ein paar % sondern wirklich weitgehend ablösen will.
Da wünsche ich mir einfach mehr Engagement in dieser gesamten Betrachtung, vielleicht ein Mobilitätskonzept Tübingen 2030.
Und ganz dringend und haushaltsrelevant auch für alle eine priorisierte und systematische Sanierung der Straßen; Rad- und Fußwege in Tübingen.
Zu diesem Hauptthema Klimawandel gehört meiner Meinung nach auch die Anpassung an die Folgen des Klimawandels,
die man nicht so en passant erledigen kann, sondern die auch massive Anstrengungen in vielen unterschiedlichen Bereichen erfordern.
Dazu haben wir von der Tübinger Liste analog zum European Energy Award, bei dem als Zielsetzung formuliert war: ein ähnliches Unterstützungsprogramm, die Teilnahme am European Climate Adaption Award, vorgeschlagen, um uns beim Thema Klimaanpassung einen Leitfaden zu geben.
Wir erhoffen uns daraus ähnlich positive Effekte für die Umsetzung von Klimaanpassungsprojekten in Tübingen.Weitere Herausforderungen hängen sicherlich auch mit dem Wachstum der Stadt zusammen. Wohnen, genauer Wohnraum für Menschen mit normalem Einkommen, ist ein weiterer zentraler Aspekt in unserer Stadt.
Trotz unserer verschiedenen Programme und Handlungskonzepten, in denen Genossenschaften und GWG eine wesentliche Rolle spielen, stehen wir vor Herausforderungen, die durch die galoppierende Inflation, steigende Baukosten und den Fachkräftemangel weiter verschärft werden.
Um dem entgegenzuwirken, müssen wir bewährte Standards und Verfahren überprüfen und gegebenenfalls neu ausrichten.
Auch die Innenverdichtung stößt langsam an ihre Grenzen, bzw konkurriert immer mehr mit dem Anspruch an Grün in der Stadt. Eine Option ist es, endlich auch die Ausweisung neuer Baugebiete z.B. in den Teilorten umzusetzen.
Aber nicht nur Wohnen, sondern auch der Bereich Familie, von Kita bis Pflege erfordert vermehrt Anstrengung von Seiten der Stadt.
Das drängende Thema ist der Fachkräftemangel, der sich in verschiedenen Bereichen wie Kitas, Schulen und Pflege manifestiert.
Wir haben bereits erhebliche Anstrengungen unternommen, neue Betreuungsplätze zu schaffen, Schulen zu sanieren und Kindertagesstätten zu erweitern. Dennoch müssen wir konstatieren, dass die steigende Nachfrage nach Betreuungsdiensten und der zunehmende Fachkräftemangel eine herausfordernde Situation schaffen.
Um diesen Mangel zu beheben, benötigen wir eine Fachkräfteoffensive, die im vergangenen Jahr endlich angegangen worden ist, möglicherweise eine angemessene Finanzierung und pragmatische Lösungen. Bei den Schulen werden neben dem sowieso schon geplanten Umbauten und Sanierungen im Schulzentrum Süd insbesondere durch wachsende Schülerzahlen und geplante die Wiedereinführung von G9 massive Investitionen auf uns zukommen, und zwar schneller als gedacht.
Aber auch die Fortschreibung des Digitalisierungsprozesses, die Veränderung in andere Lernarrangements und multiprofessionellen Teams werden den Schulen und der Stadt als Schulträger große Anstrengungen abverlangen.
Was fehlt noch bei der Betrachtung des Haushalts?
Wenn ich genau überlege, sind einige weitere große Investitionen zum Teil, weil sie noch abgeschlossen werden müssen, wie z.B. ZOB; Kepler-Gymnasium, Oberstufe GMS in der Hans-Küng-Schule, um nur einige kostspielige zu nennen, schon im Vorschlag der Verwaltung berücksichtigt und werden wie das Hallenbad Süd hoffentlich auch in Angriff genommen.
Da ist aber auch noch die große Herausforderung, die im Sozialbereich mit all seinen Arbeitsfeldern, dazu zähle ich auch den Umgang mit den Menschen, die auf der Flucht vor Krieg und Terror zu uns kommen, von der Verwaltung bravourös gestemmt wird.
Die Betreuung bedarf vieler Personalstellen, die wir leider nur schwer oder teilweise gar nicht besetzen können und ist aber enorm wichtig für die Stadtgesellschaft.
Eine letzte Haushaltsfrage, nein, genauer, ein großes Lob, möchte ich aber noch loswerden, obwohl es viel Geld kostet. Denn es spart der Stadt ein Vielfaches und ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Stadtgesellschaft.
Wenn ich mir die ellenlange Liste der Vereine und Organisationen dieser Stadt, die durch ihre Arbeit und Engagement, ob im kulturellen, sozialen oder sportlichen Bereich, wesentlich dazu beitragen, was Tübingen so lebenswert macht, da darf man das Geld guten Gewissens investieren.
Nun komme ich langsam zum Schluss meiner Rede.
In dieser Zeit der Veränderung müssen wir als Gemeinschaft zusammenstehen. So wie wir es am vergangenen Samstag gemacht haben.
Lassen Sie uns den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern und gemeinsam an einem Strang ziehen, um die Zukunft unserer Stadt aktiv und positiv zu gestalten.
Wir haben im Gemeinderat gemeinsam immer fair um das Beste gerungen, auch wenn es bei dieser Einordnung doch auch Unterschiede gab,
sowohl die Verwaltung, als auch alle Fraktionen
das möchte ich betonen und mich dafür auch bei all diesen Akteuren ausdrücklich bedanken.
Wir werden zukünftig den Gürtel sicher enger schnallen müssen und deshalb hoffe ich, dass dann im Sommer der neue Gemeinderat in den Gesprächen über eine Haushaltskonsolidierung die politische Schwerpunktsetzung, die Unterscheidung zwischen wichtigen und nicht ganz so wichtigen Aufgaben zum Wohle der Bürgerinnen neu setzen wird.
Zunächst wünsche ich uns aber allen, viel Durchhaltevermögen und Kompromissbereitschaft für die anstehenden Verhandlungen.
Ein letztes und mir ganz wichtiges zum Schluss: eine große Veränderung werden diese Verhandlungen aber leider mit sich bringen.
Obwohl ich noch nicht lange im Gemeinderat sein darf, wird mir und uns allen sicherlich gerade bei diesen kommenden interfraktionellen Haushaltsgesprächen Dietmar Schöning fehlen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!