Ernst Gumrich im Tagblatt vom 25.03.2020

Verzweifelte Pflegekräfte in Wuhan, sie schienen so fern. Dann kam die Seuche nach Norditalien, kurz darauf ins nahe Elsass. Gute Gesundheitssysteme wurden über Nacht dramatisch überlastet. In Prozent nur wenige, in absoluten Zahlen viel zu viele Patienten brauchten gleichzeitig intensivmedizinische Behandlung. Auch in Tübingen wich eine Illusion der Realität: Wir sind keine „Insel der Seligen“.

Damit es in Tübingen nicht zu solch schlimmen Zuständen kommt, muss gehandelt werden. Es kommt jetzt auf die Menschen in der Verantwortung an. Sie müssen klar denken, abgestimmt und entschlossen handeln. Wir sollten ihnen vertrauen und sie arbeiten lassen! Bereits seit Wochen reagierte entschieden, wer die Entwicklung vorausdachte: unsere Klinikleitungen, Pflegekräfte, Ärzteschaft, Apotheker und Labore. Sie haben in einem Rennen gegen die Zeit ihre Kapazitäten stark aufgestockt. Viele von ihnen gehen jetzt bei der Behandlung infizierter Patienten in eine zunehmende Selbstgefährdung hinein. DANKE! Die Betreuer unserer alten Menschen und Schutzbedürftigen erleben das belastete System als aus den Fugen geraten und müssen ständig Notlösungen erfinden. DANKE!  Könnten Tübinger ForscherInnen die Welt von dieser Pandemie befreien? Tag und Nacht suchen sie antivirale Medikamente oder bei Curevac sogar das erlösende Vakzin. DANKE! Wir müssten noch viele aufzählen: Unsere Verwaltungen, die für Ordnung und Sicherheit sorgen, Menschen, die unseren täglichen Bedarf sicherstellen, Busse steuern, die alle unbeirrt im Kontakt mit uns und dem Virus weiterarbeiten. DANKE!

Wir anderen – nicht in der Verantwortung – müssen die Verbreitung der Krankheit durch unsere strikte Isolation aufhalten. Sonst ist alles andere umsonst. Was für ein kleines Opfer im Vergleich! Wenn viele dann noch in Solidarität und mit Anstand den Mitmenschen großzügig helfen und kreativ einen neuen Alltag erfinden, entsteht in der Isolation eine heilende Gemeinschaft. Wir beobachten gerade viele stille Heldinnen und Helden.

Ein Nachsatz: Leider wird in Tübingen laut über die Strategie nachgedacht, besonders gefährdete Gruppen (Ältere, Diabetiker, Immungeschwächte) langfristig streng zu isolieren und die produktiven Jungen rasch ins aktive Leben zurückkehren zu lassen. Bitte nicht! Das ist in der Praxis eine Illusion, würde unsere Stadtgesellschaft spalten und hätte menschlich gruselige Folgen.