Wir notieren als ersten Unterschied im OB-Wahlkampf: Zwei Kandidatinnen befragen die Menschen. Ein Oberbürgermeister lässt fragen. Wenn Forsa gleich zweimal klingelt, will es jemand für viel Geld ganz genau wissen: Waren die letzten 16 Jahre gut genug? Hat er die Gesellschaft mehr gespalten oder zusammengeführt? Was kann er jetzt noch versprechen, um dann 24 Jahre regieren zu dürfen? Peinlich wird ein Auftraggeber, der beide Male anonym zu bleiben versucht. Immerhin, zu Forsa Nr. 1 hat sich Boris Palmer spät bekannt. Spürt er nach 16 Jahren seine Bevölkerung nicht mehr verlässlich? Wurde der vertrauensvolle Zugang zu Teilen der Stadt verschüttet?
Sofie Geisel hat bei den Begegnungen mit den Menschen trotz ihrer Berufsbelastung klar die Nase vorn. Es beeindruckt, wie gründlich sie sich mit vielen Gesprächen in das feine, enge und stabile Tübinger Netzwerk hineingearbeitet hat und die Tübinger Themen bereits gut versteht. Mit einer Energie, Ruhe, Zugewandtheit und Kompetenz, die viele überzeugt. Durch dieses freundlich effiziente Menschen-Netzwerk denkt und entwickelt sich Tübingen; man kennt sich spätestens über zwei, drei Ecken. Sich gleich mit diesem Netz zu verbinden und als Oberbürgermeisterin verbunden zu bleiben, könnte der Schlüssel für eine gute überparteiliche Amtsführung werden. Dr. Ulrike Baumgärtner bringt als Ortsvorsteherin und Ex-Fraktionsvorsitzende der AL Grünen einen Heimvorteil in der Kenntnis vieler Menschen, Netzwerke und Themen mit. Amtsinhaber wissen aber immer mehr als Kandidaten. Unserer ist sich dessen leider allzu oft, allzu kategorisch gewiss. Er gilt als nur mäßig guter Zuhörer und Teamspieler. Für mich ist das die entscheidende Schwäche, die von seiner großen intellektuellen Schärfe nicht ausgeglichen wird. Ich werde für einen anderen Umgang und ein anderes Amtsverständnis, sprich, nach 16 Jahren für den sinnvollen Wechsel im Amt stimmen.
Beide Gegenkandidatinnen bringen die Kompetenzen dafür mit. Im Wahlkampf wird sich weisen, was sie beim Wohnen, bei der handfesten Umsetzung der Klimaziele, für ein Mehr an Stadtgrün konkret vorhaben? Wer wird die Auswirkungen von Politik auf einzelne reale Menschen wieder ernst nehmen, wie z.B. bei einer Grundsteuer C? Wer wird den Stadtbahn-Bürgerentscheid dauerhaft respektieren? Tübingen hat viele Fragen und im Herbst eine echte Wahl.